Seitenwagen

DAS DRITTE BEIN
ODER
GOGGO-ROLLER UND SEITENWAGEN
DAS FAMILIENFAHRZEUG DES KLEINEN MANNES

Vor kurzem erhielt ich den Anruf eines dänischen Goggo-Piloten, der mich um einige Adressen und Tips bat.

125er Versuchsgoggo mit Kali K 109
125er Versuchsgoggo mit Kali K 109
Als er mir von seinem 1954 in Dänemark zugelassenen Gespann in gutem Originalzustand erzählte, staunte ich nicht schlecht: Von einem Beiwagen mit dem wohlklingenden Namen "Master Scoot" hatte ich noch nie etwas gehört. Der Fahrzeugeigner konnte leider keine weiterreichenden Informationen beisteuern. Selbst Beiwagenexperte Martin Franitza zeigte sich sprachlos. Obwohl profunder Kenner der Gespann-Szene und Fachbuchautor ("Seitenwagen und Gespanne, Band III: Das Rollerseitenwagen-Lexikon", erschienen im Selbstverlag) mußte er passen. Die Herkunft des "Master Scoot", der aussieht, als entstamme er einem dieser hydraulisch betriebenen Raketenkarussells aus den 50ern, wird wohl im Dunkeln bleiben. Immerhin aber war mein Interesse an den "Anhängseln" des Goggo geweckt.
Goggo-Gespann mit "Master Scoot" Beiwagen
Das dänische Goggo-Gespann mit "Master Scoot" Beiwagen im Originalzustand, das den Ausschlag für diesen Bericht gab.
Im Hause Glas hatte man bereits sehr frühzeitig mit dem dritten Rad am Roller geliebäugelt. Bereits im Jahr der Markteinführung 1951 mutete man versuchsweise dem 125er mit seinen bescheidenen 4,5 PS einen Seitenwagen der Firma Kali zu, um erste Erfahrungen mit der Belastbarkeit von Fahrwerk und Maschine sammeln zu können. Die Ergebnisse stellten die Firmenleitung offenbar zufrieden, wenngleich man sich wohl von Anfang an über die für den Gespannbetrieb zu geringe Leistung des kleinen Ilo-Aggregates im klaren gewesen sein dürfte. Jedenfalls sah man sich aus Vernunftgründen erst nach Einführung des 150er Motors Anfang 1952 gewillt, per Werbeprospekt die "Dreiradtauglichkeit" des noch jungen Glas-Abkömmlings zu preisen und ab den 200er Modellen am Rahmen sogar serienmäßig Anschlußmöglichkeiten zu schaffen.
Zunächst verbaute man die Erzeugnisse der Beiwagen- und Anhängerfabrik Kali aus Oberursel im Taunus, wie aus frühem Werbematerial hervorgeht. Die Firma Kali, 1924 von Hugo Kalinowski gegründet, bot speziell für Roller von 125 bis 175 ccm den KL 110 an, der wegen seiner zierlichen Erscheinung bald die Typenbezeichnung "Baby" angehängt bekam. Die spartanische Sitzbreite von lediglich 38 cm ließ aber viele Kunden auf den größeren KL 109 zurückgreifen, der serienmäßig mit polierter Frontstoßstange, Kotflügelzierleisten und einem bequemeren Sitz ausgeliefert wurde. Beide Modelle wiesen die bei Kali typische Gummibandfederung am Seitenwagenrad auf.
Royal Werbung mit T 55
Royal Werbung mit Goggo T 55
Aber spätestens ab 1953 konnte sich Royal die Position des Haus und Hoflieferanten bei Glas sichern und Kali aus Dingolfing verdrängen. Fortan zeigte Werbeleiter Helmut Dannenberg in seinen Prospekten nurmehr die eleganten, zigarrenförmigen "Bootchen" aus München, wie ein Tester die bayerischen Seitenwagen verniedlichend nannte. Der Preis war dagegen nicht ganz so niedlich. Immerhin 485, DM mußten auf den Tisch des Goggo-Händlers geblättert werden, um in den Besitz eines kompletten Beiwagens mit Windschutz zu gelangen (Stand 01.10.53, Preisliste M 106). Wenig später, genauer zum 01.02.54 korrigierte man den Betrag nach unten auf nunmehr 465,- DM. Nach wie vor viel Geld für die damalige Zeit!
Dafür bot der Royal RSG "eine bestechend hübsche Linienführung, geschmackvolle und elegante Ausstattung sowie Material und Verarbeitung in höchster Qualität".
Als Frau in den 50ern ein Gespann fahren
Als Frau in den 50ern ein Gespann zu fahren, war schon außergewöhnlich. Aber damit ließen sich auf kurvigen Landstraßen die "ollen" Käfer so schön abhängen!
Das hieß im Klartext. Dreipunktanschluß, regulierbare Gummibandfederung des Bootes, abschließbarer Gepäckraum hinter der Rückenlehne, polierte Leichtmetallzierleisten und -stoßstange, Windschutzscheibe, zum bequemeren Ein- und Ausstieg hochklappbar und auf Wunsch verchromter Stahlrohr-Gepäckträger. Auf der Plusseite stand natürlich noch das geringe Gewicht von lediglich 38 kg, das aber wiederum, wie beim Kali, zu Lasten der Sitzverhältnisse ging. Nicht nur geriet die Sitzbreite mit ca. 40 cm recht bescheiden, sondern auch die Bewegungsfreiheit der Beine war aufgrund der niedrigen Bauhöhe sehr eingeschränkt, so daß groß gewachsene Fahrgäste die Beine nicht richtig ausstrecken, aber auch nicht bequem anwinkeln konnten.
Fachjournalisten beanstandeten zudem die zu niedrige Windschutzscheibe und vor allem, daß das Seitenwagenrad weder Federung noch Bremse aufwies. Trotz der, gerade von alten Motorradhasen mit großer Skepsis betrachteten 8-Zoll-Räder, die im Rollerbau zunächst sehr häufig anzutreffen waren, attestierte man dem Goggo, daß er Dank des gut abgestimmten Fahrwerkes das Bestmögliche aus den kleinen Rädern machen würde und fand mit dem Ausspruch "der Einäugige unter den Blinden" ein treffendes Gleichnis.
Gaudi am Sonntag Nachmittag
Gaudi am Sonntag Nachmittag: Beim Besteigen eines Royal schlägt die Stunde der Wahrheit. Korpulente Beifahrer haben keine Chance.
"Rollerei und Mobil" schrieb im Februar 55: "Wenn ein Roller so hervorragende Federungseigenschaften besitzt wie der Goggo, dürfte man ihm keinen Seitenwagen mit ungefedertem Seitenrad mehr zumuten. Ein Seitenrad zu federn ist heute doch kein Kunststück mehr, und es wäre wirklich angebracht, wenn Goggo auf seinen Lieferanten ein bißchen Einfluß nehmen würde, denn was nützt die ganze schöne Goggo-Federung, wenn da ein absolut ungefederter Beiwagen dranhängt?"
Bei aller Kritik darf man jedoch eines nicht vergessen, und Testfahrer Götz Weihmann, der für "Das Motorrad und der Roller" mit dem Royal-Gespann unterwegs war, brachte es in Heft 11/1954 auf den Punkt: "Nun, das ganze ist ein k l e i n e s Gespann, und wem der gebotene Komfort nicht ausreicht, der muß tiefer in den Säckel greifen und sich ein großes Gespann oder einen Wagen kaufen. Das ist nun mal so eingerichtet in dieser schnöden Welt: jede Leistung und ganz.besonders jeder Komfort muß bezahlt werden."
Wer glaubte, mit der Glasschen Hausmarke Royal nicht glücklich werden zu können, hatte neben Kali noch andere Hersteller zur Auswahl, wie etwa das traditionsreiche Nürnberger Unternehmen Steib, das mit dem LS 200 RS 1 einen Beiwagen produzierte, der die beim Royal so schmerzlich vermißte Radfederung und -bremse bot. Durch die hochgezogene Karosse in Bootform ergab sich auch mehr Bein und Kniefreiheit.
Die schnittige Torpedoform á la Royal sowie Radfederung bot der Roller-Seitenwagen "Petitchen" der Firma OWB (Otto Wilmsen, Gelsenkirchen-Buer), wobei der Name bereits aussagt, daß es sich hierbei um ein besonders leichtes und zierliches Gefährt handelt. Einen der bequemsten und komfortabelsten Rollerseitenwagen baute der Berliner Fahrzeugfabrikant Erich Stolz. Das Blechboot saß in dem für Stolz typischen Bügelrahmen mit der patentierten Gummitorsionsfederung, auf die eine Garantie von 10 Jahren gewährt wurde und den beachtlichen Federweg von 80 mm aufwies. Die Montage des Seitenwagens erfolgte mit Dreipunktanschluß, hauptsächlich an leistungsstarke Roller wie den Goggo.
"sieben-Länder-Reise"
E. Schleinitz unternahm mit Frau und Steib eine "sieben-Länder-Reise".
Wie fährt sich nun so ein GoggoGespann? Lassen wir nochmal Götz Weihmann zu Wort kommen: "Liebe Leute: ein Rollergespann ist eine todernste Angelegenheit, und man versuche nicht, damit umzugehen, wie mit einem Spielzeug! Das Rollergespann reagiert ganz ungewöhnlich schnell und stark, infolgedessen ruft jede ausgesprochene Kraftanwendung kolossale Effekte hervor. Wer einen Elefanten in eine Linkskurve zwingen will, muß seinen Bizeps selbst bei mäßiger Geschwindigkeit ganz schön anspannen. Wer am Rollerlenker bei gleicher Geschwindigkeit nur halb so stark zieht, insbesondere bei leerem Seitenwagen, erlebt im Bruchteil einer Sekunde ein blaues Wunder: das Vorderrad stellt sich nämlich ruckartig quer, es schiebt, und jegliche Führung ist verloren. Übersteuert! Und in der Rechtskurve: durch das relativ geringe Gewicht des leeren Seitenwagens kommt das Ding hoch, ehe man sichs versieht. Dieses Ereignis wickelt sich viel schneller ab als bei jedem Motorradgespann. Ja, es geht unter Umständen so schnell, daß für die üblichen Gegenmaßnahmen bremsen und aufsteuern durch einen Linksschlenker keine Zeit bleibt. Zweimal rettete mich bei gottlob langsamer Fahrt nur das abstützende linke Bein vorm Umwurf. Dann packte ich zwei Sandsäcke ins Boot: vorn 35 kg, im Gepäckraum 25 kg. Und siehe da, jetzt war dieses Rollergespann schon wesentlich besser zu fahren! ... Bei dieser Gelegenheit ein weiterer Hinweis: Eine zweite Person statt im Boot auf dem Soziussitz Platz nehmen zu lassen, ist nicht nur dumm - es ist Wahnsinn! Und wenns nur mal eben um die Ecke ist ... Genau an dieser Ecke ist das Fahrzeug totsicher nicht mehr zu halten!"
Das hört sich so komprimiert betrachtet zunächst recht negativ an. Unterm Strich kommen aber alle Testberichte der damaligen Zeit doch zu einer positiven Gesamtbeurteilung des Goggo-Gespanns - Übung macht halt den Meister. Als zufriedenstellend wertete man auch die Fahrleistungen des 200ers ("Der Motor benimmt sich wie eine kleine
Die hochgezogene Bootform des Steib
Die hochgezogene Bootform des Steib verhieß ein Plus an Bein- und Kniefreiheit. Hinten links Clubmitglied Dieter Gutheil in jungen Jahren.

Lokomotive..."), der die mit Gepäck und zwei Personen beladene Fuhre immerhin noch auf Tempo 70 jubelte (Solo mit einer Person 87 km/h). Dies bedeutete aber auch einen kleinwagenmäßigen, und weil Zweitaktbetrieb, teuren Spritkonsum von bis zu sechs Litern pro 100 km. Und obwohl dem Beifahrer auf langen Strecken durch die niedrige Sitzposition dicht am Luftfilter ernsthafte Gehörschäden drohten, kam die Roller Revue in Heft 10.53 zu dem Ergebnis: "Das Goggo-Gespann ist das gegebene Fahrzeug für den kleinen Mann, der sich ein Auto nicht leisten kann und doch mit Frau und Kind auf Reisen gehen möchte." BELLA ITALIA, WIR KOMMEN!
Wer nun unbedingt das Feeling des kleinen Mannes nachempfinden möchte, dem kann geholfen werden, denn auch heute noch bietet sich die Möglichkeit, den an Jahren gereiften Goggo mit einem fabrikneuen, aber nichts desto trotz stilgerechten Seitenwagen zu bestücken.
Da wäre Jürgen Roth aus Großostheim (Tel. 06026/6334) zu nennen, der vor ein paar Jahren die Seitenwagenrestbestände bei Kali aufkaufte - die Firma selbst existiert heute noch - und auch die Rechte erwarb, Nachbauten unter dem alteingeführten Namen zu vertreiben. Für rund 3.500,- DM ist das hübsche Gefährt zu haben. Es muß lediglich noch lackiert werden.
Auch den Steib gibt's noch - ebenfals unlackiert - und zwar bei Rudolf Kurzendorfer in Schwandorf, Tel. 09431/2479. Für ebenfalls rund 3.500, DM erhält man Windschutzscheibe, Spritzdecke und Montage inklusive. Herr Kurzendorfer hat zudem noch einen, dem Royal ähnlichen Beiwagen zu bieten, den er aus Indien importiert und der inklusive Montage mit DM 3.000, zu Buche schlägt.
Gespannfahren ist sicher Geschmacksache, und ich persönlich gebe meinem 200er lieber solo die Sporen. Aber stattlich und hübsch anzusehen ist ein Goggo mit Beiwagen allemal!

Michael Scharpf (1994)
( Copyright, Bilder und Text mit freundlicher Genehmigung der Verfasser und des GLAS Automobilclub International e.V. )

http://www.ideal-seitenwagen.eu/Seitenwagen.htm

http://www.kali-beiwagen.de/