Der Goggoroller - Urahn der GLAS-Fahrzeugpalette
Hätte Andreas Glas im November 1949 nicht die Landmaschinen-Ausstellung in Verona besucht, wäre der Goggo-Roller wohl nie entstanden. Auch für das Goggomobil hätte die finanzielle Grundlage gefehlt und einen GLAS-Club würde es heute kaum geben. So aber begeisterte sich der junge Glas für die flotten Roller, die das norditalienische Straßenbild prägten. Seit man die Fabrik mit etwa tausend Arbeitsplätzen im Jahr 1948 von den Amerikanern zurückbekommen hatte, dachten die Verantwortlichen daheim im niederbayerischen Dingolfing über eine Auslastung der Produktionskapazitäten nach. Mit Landmaschinen und Alu-Bierkisten allein war der Betrieb nicht dauerhaft überlebensfähig. Doch Papa Hans Glas fürchtete, das Rollerprojekt könnte für den kleinen Betrieb eine Nummer zu groß geraten. Die in aller Heimlichkeit zusammengebastelten drei Prototypen, zwei mit Ilo-, einer mit Sachs-Motor, konnten ihn jedoch, wie wir wissen, Anfang 1951 umstimmen.
Er gab grünes Licht für die Serienfertigung. Die begann schon nach verhältnismäßig kurzem Vorlauf Anfang Juli 1951, nachdem schon etwa zwei Wochen zuvor auch der Bundesminister für Verkehr die allgemeine Betriebserlaubnis bescheinigte.
125er der ersten Monate, erkennbar an den 4 Kühlschlitzen vorne unter der Sitzbank und den fehlenden Bullaugen |
An Fließbandproduktion war noch nicht zu denken, das neuartige Zweirad wurde ganz in alter Handwerkertradition zunächst auf Werkbänken zusammengebaut. Entsprechend gering war bis zum Jahresende der Fahrzeugausstoß: Ganze 735 "Volksmotorroller Goggo", wie er im ersten bescheidenen Prospektblättchen genannt wurde, verließen die Werkshallen. Aber was die motivierten GLAS-Mitarbeiter da auf die kleinen 8-Zoll-Räder stellten, konnte sich sehen lassen: Das Rückgrat bildete ein offener, geschweißter Rohrrahmen, die Federung erfolgte vorne mittels Teleskopgabel, hinten mit einer Schwinge und Gummistoßdämpfern. Eine kleine 100mm Bremstrommel vorne, eine mit 110mm hinten sorgten für die Verzögerung des Gefährts.
Besonders viel Arbeit hatten die Bremsen zunächst nicht, denn mit den 4,5 PS des 125er Ilo-Einbaumotors konnte man mit dem knapp 100 Kilo schweren Roller nicht gerade neue Geschwindigkeitsrekorde aufstellen. Bei etwa 65 km/h war absolut Schluß mit der Beschleunigung.
Die gebläsegekühlten Motoren waren vor dem Hinterrad unter der Sitzbank montiert und wurden per Kickstarter angetreten.
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Als Besitzer eines Goggo-Rollers haben die beiden gut lachen. Wer ihn fährt, kann sich sehen lassen. Der 40kg leichte "Kali-Baby" steigert die Freude noch |
Frühe Aggregate (MG 125 V) mit Querstromspülung erkennt man am Nasenkolben und am angeschraubten Vergaserstutzen. Später findet der Flachkolbenmotor MG 125 VF mit Schnürle-Umkehrspülung Verwendung. Geschaltet wird das Dreiganggetriebe mit dem rechten Fuß über eine bequeme Schaltwippe und außenliegendem sogenannten Schaltautomat. Der linke Fuß bedient das Bremspedal. Diese Anordnung blieb bei allen 125er und den 150er Modellen auch später so bestehen. Ein recht klein geratener dreieckiger Auspufftopf direkt unter dem Motor angebracht, sorgte für ein wenig Geräuschdämpfung und verlieh dem Goggo das charakteristische blecherne Knattern, an dem er schon von weitem zu erkennen war.
Der vollkarrossierte Roller bot im Vergleich zum Motorrad guten Schmutz- und Wetterschutz und galt bei Testern wie Publikum als besonders formschön und elegant – Attribute, die einem aus heutiger Sicht zu dem urigen Goggo wohl nicht mehr einfallen würden. Aber damals traf er genau den Nerv der nach Motorisierung lechzenden Nachkriegsgeneration und entwickelte sich nach und nach zum Verkaufsschlager.
Für den Goggo-Roller war kein Berg zu hoch - besonders wenn es sich wie hier um 200er Modelle handelte |
Dazu trug auch im wesentlichen bei, dass schon früh kleinere Kinderkrankheiten ausgemerzt und Verbesserungen in die Serie eingebracht wurden. Beispielsweise erhöhte man noch 1951 die Anzahl der Kühlschlitze unter der Sitzbank von 4 auf 9 und ließ im Laufe des Jahres ´52 je zwei Bullaugen in den Seitendeckeln in die Serie einfließen, um die bis zum Ende der Produktion nie so ganz beseitigten thermischen Probleme besser in den Griff zu bekommen. Schon bald gingen die Dingolfinger daran, die Fahrzeugpalette neben der Standard- mit einer Luxusversion zu ergänzen und parallel einen stärkeren Motor auf den Markt zu bringen, den 150er. Der steht ab Frühjahr 1952, als bereits rund 1.500 Einheiten des GLAS-Zweirades zum Preis von 1.355,–DM (inkl. 60,–DM für das obligatorische Reserverad) verkauft wurden, bei den Händlern und lockt mit 6,5 PS, einer Spitze von 75 km/h und Beiwagentauglichkeit. Orderte man ab Werk den Steib RS 1, den Kali Baby oder den später nahezu ausschließlich verkauften und heute so begehrten Royal aus München, war es mit dem Temperament allerdings trotz geänderter übersetzung gründlich vorbei. Andererseits blieb nun selbst das ferne Italien für Unerschrockene und Fernwehkranke, die eine gewisse Leidensfähigkeit mitbrachten, nicht mehr unerreichbar.
Da gibt es z. B. die Geschichte des ältesten, heute noch existierenden Goggo, im Juli´51 als 17. Roller gebaut, der kaum eingefahren, noch im selben Jahr mit 2 Personen und großem Urlaubsgepäck auf den Großglockner gequält wurde. Zu zweit fuhr man immer so lange, wie es irgendwie ging, dann sprang der Beifahrer ab, der Motor gewann wieder an Drehzahl und der Fahrer fuhr ein gutes Stück weiter bergauf. Dann stellte er den Roller mit laufendem Motor ab und ging, wenn es für zwei Passagiere noch immer zu steil war, zu Fuß weiter bergauf. Der Beifahrer gelangte in der Zwischenzeit am Fahrzeug an und fuhr, bis er den Fahrer eingeholt hatte, um diesen dann als Beifahrer aufzugabeln oder Solo zu überholen und wiederum ein Stück vorauszueilen. Was haben die Leute nicht alles auf sich genommen, um die Welt zu entdecken und zu bereisen! Zum echten Reiseroller und wirklich beiwagen- wie autobahntauglich mutiert der niederbayerische "Barockengel" im März 1953, als nach bis dahin 7.500 Rollern der 200er ins Programm genommen wird. GLAS blieb auch mit dieser nun 9,5 PS starken Version dem Pinneberger Einbaumotorenhersteller Ilo treu. Obwohl mit nunmehr 125kg wahrlich kein Leichtgewicht mehr, erreicht der Goggo als einer der stärksten deutschen Serienroller mühelos Tempo 85, gut eingefahrene Exemplare auch mehr. Die GLAS-Mannschaft hat es geschafft: ihr ausgereifter Roller ist längst auf der überholspur und lässt bis auf die schärfsten Widersacher Vespa und Lambretta die Konkurrenz weit hinter sich. Kaum zu glauben:
Teilweise gehen bis zu 20% der Produktion, die stetig weiter ansteigt, unter dem für Deutschland rechtlich schon vergebenen Namen "Isaria" in den Export, auch in zahlreiche Länder außerhalb Europas!
Der flotte Brummer erringt innerhalb von 12 Monaten bei den ADAC-Zuverlässigkeitsfahrten insgesamt 43 Goldmedaillen, 9 Silbermedaillen, 4 Mannschaftspreise in Gold,
3 Mannschaftspreise in Silber und 4 silberne ADAC-Becher für die schnellste Zeit bei Roller-Sonderprüfungen. In der Werbung versteht man es geschickt, die Vorzüge des Goggo herauszustellen, besonderer Schwerpunkt auch hier seine Reisetauglichkeit:
"Hab´ den Roller vollgeladen... Herr von F. will es ganz genau wissen. Wenn er zum Camping fährt, muß es mit vollem Komfort sein. In diesem Sinne hat er seinen Goggo 150 so ausgelastet, wie es auf unserem Bild zu sehen ist (Anm. d. V.: Man sieht einen bedrohlich hoch aufgeladenen, schwer hecklastigen Roller, der heute wohl durch keine Polizeikontrolle mehr käme). Daneben finden Sie fein säuberlich ausgebreitet, was in den Gepäckstücken verborgen ist (Anm. d. V.: Es ist alles dabei, was man für den Kurztrip so braucht: Hauszelt, Luftmatratzen, Kocher, Transistorradio und auf jeder Reise unentbehrlich – eine schwarze Schreibmaschine). Mit dieser Last (Gepäck 75kg) und zwei Personen fuhr der Roller in drei Tagen über sieben Pässe, ohne sich nur einmal zu beklagen." Weil gar so dick aufgetragen wurde noch ein weiteres Beispiel Dingolfinger Werbekunst:
Einer von über 100 Goggo-Clubs in Deutschland |
"Freitag Nachmittag 17.00Uhr in Rimini! Ein kurzes Telefongespräch München-Frankfurt und zwei Freundespaare hatten ihre Ferien-Verabredung getroffen. Man bestieg seinen Goggo, fuhr los und traf sich dann auch pünktlich, Freitag, Nachmittag 17.00 Uhr, in Rimini. Was ist schon dabei, wenn man einen Goggo hat! Gar nichts! Man weiß, dass er zuverlässig und stark ist und ungemein bergfreudig." Schade, daß aus dem Text nicht hervorgeht, wieviele Tage vor der Ankunft in Italien die Abfahrt in Frankfurt stattfand. Viele Menschen sind der Meinung wie die GLAS´schen Reklamestrategen und restlos überzeugt von den Qualitäten des Goggos. Sie organisieren sich, das dürfte typisch deutsch sein, in über 100 Clubs, verstreut über die ganze Republik. 1953 bewies Glas nicht nur Einfallsreichtum in der Werbung, auch bei der ständigen Weiterentwicklung des Rollers war das Trio Andreas Glas/Karl Dompert und Hans Zettler in diesem Jahr bemerkenswert kreativ.
Die schon erwähnte Einführung des 200er Motors machte änderungen am Rahmen notwendig, die Bremse vorne wurde der höheren Leistung angepasst und von 110mm bei Einführung des 150ers auf nun 150mm Durchmesser vergrößert. Betätigt wird die Hinterradbremse nun normgerecht mit dem rechten Fuß, die Schaltwippe, die statt wie bisher drei nun vier Gänge zu schalten hat, wandert nach links. Zusätzliche Luftschlitze im rechten Seitendeckel sorgen dafür, dass über eine dahinter anliegende Gummistulpe dem Luftfilter saubere und vor allem kühle Außenluft zugeführt wird (da haben wir wieder das leidige thermische Problem). Als Topmodell ist dieser erste 200er nur mit Luxusausstattung zu haben, kenntlich an der Batterie und dem Zündschloß im Beinschild auf Höhe unterhalb des rechten Knies. Der erstarkte "Roller in Vollendung" spielt rasch die Hauptrolle im Verkaufsprogramm und degradiert die schwächeren Modelle zu Statisten. Rund 85% der Kunden verlangen nach der Premiumversion, knapp 15% entscheiden sich noch für den 150er, den 125er will fast niemand mehr haben.
Wie gesagt, 1953 ist das Jahr der Neuerungen. So verkündet die Motor-Rundschau vom 25.02.53 von einem weiteren Zuwachs innerhalb der Goggo-Familie. Die Rede ist vom dreirädrigen Goggo-Lastenroller.
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Dem Prototypen-Stadium entwachsen: Früher Lastenroller Ende 1953 |
Auf einer Abbildung im o. g. Fachblatt sieht man einen Prototyp, noch mit Kettenantrieb auf nur ein Hinterrad, Motor mit Kickstarter und mit außen an der Pritsche angebrachtem Tank. In der Ende des Jahres angelaufenen Serie sah dann einiges doch etwas professioneller aus. Das 200er Triebwerk, nun mit elektrischem Dynastarter und 12V-Zündlicht-Anlage wurde um 90° nach rechts gedreht, anstelle des Kettenritzels kam eine Kardanwelle zum Einsatz, die über ein mittig angebrachtes Differential beide Hinterräder antrieb. Die Bedienung der Schaltung (3-Vorwärts, ein Rückwärtsgang) sowie der Bremse entsprach dem normalen Roller. Eine Sperre verhinderte das versehentliche Einlegen des Rückwärtsganges. Heikel war allerdings die Funktionsweise der Fuß- und der Feststellbremse, die mit einem einzigen Seilzug über Umlenkrollen miteinander verbunden waren: Angenommen das Drahtseil brach an einer Stelle, so bremste keines der beiden Hinterräder und auch die Feststellbremse rechts vom Fahrer verlor ihre Wirkung. So blieb nur noch die Hoffnung auf die Vorderradbremse und einen guten Schutzengel! Die ausschließlich in blau oder beige lieferbaren Dreiräder konnten ohne Aufbau, mit Pritsche mit oder ohne Planenaufbau sowie mit geschlossenem Blechkasten geordert werden. Im laufe der Serie wich der zentrale Rollerscheinwerfer zwei weit außen stehenden Lampen, im nun leeren Scheinwerfertopf platzierte man mal die Hupe, mal das Goggo-Zeichen. Für Leute "aus Zucker", die nicht so ganz exponiert im Freien sitzen wollten, war sogar ein kleines planenbespanntes Fahrerhaus mit von Hand zu bedienendem Scheibenwischer zu haben. "Höchstgeschwindigkeit 60km/h" verkündeten die Prospekte, "48km/h" stand in den Fahrzeugpapieren, die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Nur 485 der bis 250 Kilo Ladung schleppenden Lastenroller verließen das Firmengelände. Sicher viel weniger, als man sich erhoffte, obwohl sich ein paar Exemplare bis in die Vereinigten Staaten verirrten, umgerüstet auf Knüppelschaltung! Daß Anfang 1955 schließlich die Zulassungsbehörden unter anderem auch wegen des abenteuerlich kippeligen Fahrverhaltens nicht mehr mitspielten, mag angesichts des mäßigen Verkaufserfolges bei GLAS zu verschmerzen gewesen sein. Wir befinden uns noch immer im Jahr 1953, man schreibt den 1. Oktober, als das komplett runderneuerte Rollerprogramm 1954 zu den Händlern kommt. Glas lässt es schon wieder krachen und brennt ein wahres Feuerwerk an Novitäten ab: Die wichtigste änderung betrifft das Fahrwerk, vorne wird die schlichte Telegabel durch eine Schwinge mit Zugfedern und hydraulischem Stoßdämpfer ersetzt, hinten kommt ebenfalls ein Stoßdämpfer zum Einsatz. Beides beschert dem Goggo ein weiteres Plus an ausgeglichener Straßenlage und zusätzlichem Fahrkomfort, damit sind die Möglichkeiten der 8-Zoll-Räder ausgereizt.
Neu ist auch die Armaturentafel, die Tacho, Zünd-, Licht- und Anlassschalter sowie eine Leerlaufanzeige und eine Ladekontrollleuchte unterhalb des Lenkers zusammenfasst und damit bedienerfreundlich ins Blickfeld des Fahrers rückt. Endlich erhält das immer wieder als reisetauglich vermarktete Zweirad auch einen angemessenen Tank, der nun statt 7 Litern Zweitaktgemisch deren 12 Liter faßt und seinen Platz weg vom heißen Motor mit dem des Gepäckfachs tauscht.
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Alle 9 Minuten verläßt zu Spitzenzeiten ein Goggo das Fließband! |
Beim 200er löst eine 6 Volt Noris Batteriezündung die Bosch Wechselstromanlage ab. Krönung im Sortiment ist der gegen Aufpreis erhältliche elektrische Anlasser von Siba mit 12 Volt Bordnetz der sich als durchzugsfreudig, außerordentlich zuverlässig und langlebig erweist. Jetzt gibt es zur Unterscheidung all der schönen neuen Dinge auch wieder ein Standardmodell, das bis zur nächsten Rollergeneration im Programm bleibt: den alten 200er mit Telegabel. Wo viel Licht ist, ist auch ein wenig Schatten. Die Tankvergrößerung bringt eine Verkleinerung des Gepäckfachs mit sich. Diese Bezeichnung verdient es endgültig nicht mehr, wenn man die Siba-Anlage ordert, da Regler, Zündspule und die beiden in Reihe geschalteten 6 Volt Batterien den kleinen Blechkasten nahezu vollständig ausfüllen. Lediglich das Bordwerkzeug findet jetzt noch Platz darin.
Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung und dem damit verbundenen positiven Echo in der Fachpresse boomt der Absatz der ausgereiften und begehrenswerten Goggos. Handarbeit an Werkbänken ist schon seit April 1952 passé, als auf Fließbandfertigung umgestellt wird. Grund zum Feiern gibt es am 08.03.1954 gegen 16.00 Uhr: Der 25.000ste Goggoroller, ein 200er, verläßt eben dieses Fließband. Der Tagesausstoß klettert auf bis zu 120 Einheiten. Der T54, wie die Schwingen-Ausführung genannt wird, beschert den Dingolfingern Rekordverkäufe: Rund 16.000 Fahrzeuge werden davon unters Volk gebracht.
Unermüdlich tüftelt man bei GLAS hinter den Kulissen weiter am Fortschritt, um den Anschluß an die Konkurrenz nur ja nicht zu verlieren: Am 09.08.1954, nach 34.600 produzierten Einheiten erscheint das breitgefächerte, aber auch etwas unübersichtliche Goggo-Programm 1955.
1955 gibt es ein komplettes Facelifting |
Der inzwischen stattliche 132 kg schwere T55 Luxus bzw. TA55 Luxus (A steht für Anlasser) weist die umfangreichsten, aber im wesentlichen auch die letzten Modifizierungen auf. Er erhält ein komplettes Facelifting, jedes Blechteil ist irgendwie verändert, ohne dabei das vertraute Erscheinungsbild des Goggo ganz über Bord zu werfen. Dies war im wesentlichen deshalb notwendig, um die neue Radgröße, es sind nun 10 Zoll, unter der schicken Hülle zu platzieren. Die Federung wird abermals perfektioniert („Noch mehr können zwei Räder nicht leisten“, meint die Werbung selbstbewusst), das Motorgeräusch dank Ansauggeräuschdämpfer deutlich gemildert. Kleinigkeiten wie von außen mittels Zündschlüssel bedienbarer Benzinhahn (den Ferntupfer gibt`s ja schon länger) erfreuen den Piloten und machen die Klappe im linken Seitendeckel überflüssig. Das bislang serienmäßige Reserverad fällt allerdings dem Rotstift zum Opfer und ist nur mehr gegen Aufpreis zu haben. Bis Mitte `55 bleibt das 8-Zoll-Modell mit altem Blechkleid parallel im Programm und nennt sich mit Kickstarter „Goggo 200 T54 Standard“ bzw. mit elektrischem Anlasser "TA54".
Man(n) schwört auf Goggo .. |
Zur Vermarktung der 8- und 10-Zoll-Varianten erscheint der wohl schönste und aufwendigste Vierfarbprospekte im DINA4-Format: "Ob so oder so, man schwört auf Goggo, auch 1955".
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Ein Ganz seltener Vogel: Einer von nur 400 gebauten Goggo T57 |
Darin standen 7 verschiedene Ausführungen zur Wahl, von denen die mit 98 ccm-Motor nie gebaut wurde. Obwohl sie schon lange keine nennenswerte Rolle mehr spielen, bleiben die 150er und 125er Motoren selbst dann noch im Angebot, als schließlich nur noch die neue Karosserie bestellt werden kann. Diese Roller führen ein eigenartiges Zwitterdasein, da man unter die neue Blechhülle den alten Rahmen einpasst und immer noch auf die 8-Zoll-Räder zurückgreift. Nur in Standardausführung zu bekommen, „stempelt“ man ohne Stoßdämpfer, die hier nur gegen Aufpreis verbaut werden, munter durch die Kurven. Besonders die bauchige Vorderradhaube will so garnicht zu dem kleinen Rad passen. Der 125er erhält übrigens noch nicht mal einen eigenen Schriftzug, verschämt pappt man einfach den vermeintlich etwas image-trächtigeren Zusatz "150" unter den Goggo-Schriftzug! Als 1956 die Produktion des Rollers scheinbar endgültig eingestellt wird, um dem erfolgreichen neuen Goggomobil die ganze Aufmerksamkeit zu Teil werden zu lassen, der große Motorradboom ist in Deutschland ohnehin vorbei, meutern doch einige Händler und Kunden.
Die Händler und Kunden meutern |
Auch weil Ilo auf seinem Liefervertrag besteht, entschließt sich Glas, nochmals eine Serie von rund 400 Stück aufzulegen und zieht dazu eigens Mitarbeiter von der Goggomobilfertigung ab. Das Fahrzeug erhält aufgrund des Herstellungsjahrs den Zusatzschriftzug "T57", erhält ein ausladenderes Armaturenbrett, um den Tacho der Goggo-Limousine unterzubringen und wird wahlweise in einer hocheleganten Zweifarbenlackierung ausgeliefert. Nach etwa 12.000 produzierten 10-Zoll-Goggos und einer Gesamtauflage von 46.666 Stück ist aber nun endgültig Schluß.
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Die Optik stimmt, die Qualität nicht. Was aussieht wie ein Goggo entpuppt sich in diesem Fall als Tula 200 |
Ilo wird für die restlichen, nicht abgenommenen Motoren mit einer stattlichen Einmalsumme, es soll eine Million DM gewesen sein, abgefunden. Aber wie heißt es so schön: "Totgesagte leben länger". Noch im selben Jahr tauchen Bilder eines russischen Erlkönigs auf, der dem Goggo aufs Haar gleicht. Es ist die Eins-zu-Eins-Raubkopie des sowjetischen Mischkonzerns Tula, die ihr mäßig verarbeitetes Erzeugnis auch jenseits des Eisernen Vorhanges in den Beneluxstaaten anbieten.
Heute ist der Goggo-Roller ein seltener Anblick geworden, auch auf Oldtimer- und GLAS-Club-treffen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass nur etwa 100 Stück zugelassen sind. Und die Zeiten, als man auf Teilemärkten brauchbare Motoren für 50,–DM oder 100,–DM auftreiben konnte, sind auch vorbei. Besonders bei allen Blechteilen sieht es recht schlecht aus. Egal wie der Zustand des Blechs ist, es sollte wiederaufbereitet werden. Um den Goggo hat sich eine aktive Interessengemeinschaft gebildet, die immer wieder Nachfertigungen auf die Beine stellt. So sind die Bullaugen der Seitendeckel, das geflügelte "G" auf der Vorderhaube, die Bodenleisten, nahezu sämtliche Gummis und alle wichtigen Drehteile wieder zu haben. Auch Betriebsanleitungen und Schaltpläne stellt die Goggo-IG zur Verfügung. Alle relevanten Infos finden sich im Internet unter www.alte-roller.de. Wer in schönen zeitgenössischen Bildern zu Roller und Goggomobil schwelgen will, der sollte www.aldaweb.de von Clubmitglied Albin Davidenko nicht außer acht lassen. Viele statistische Angaben für diesen Artikel ergaben sich aus der Datensammlung von Co-Autor Franz Heigele, der gerne zu technischen Fragen berät und sich über jeden freut, der ihn anruft (Tel.: 08331/65993) oder anschreibt (Franzheigele (ät) vr-web.de), und ihm neue Fahrgestellnummern und soweit vorhanden Erstzulassungsdaten verschafft.
Michael Scharpf
Franz Heigele
( Copyright, Bilder und Text mit freundlicher Genehmigung Michael Scharpf, Franz Heigele und GLAS Automobilclub International e.V. )
Aufschlüsselung der Fahrgestellnummern
Die ersten beiden Stellen von links geben das Baujahr an, die dritte Stelle ist die Typkennzahl, die restlichen Zahlen geben die Stückzahl wieder.
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Nr | Goggo-Typ | ab |
1 |
Goggo 125 |
07/1951 |
2 |
Goggo 150 |
04/1952 |
3 |
Goggo 200 |
03/1953 |
4 |
Goggo 125/2 u. 150/2 |
10/1953 |
5 |
Goggo 200/2 T54 |
10/1953 |
6 |
Goggo Lastenroller |
12/1953 |
7 |
Goggo 150 T55 |
08/1954 |
8 |
Goggo 200 T55 |
08/1954 |
9 |
Goggo 125 T55 |
08/1954 |
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Allgemeine Betriebserlaubnis "Motorroller Goggo" Nr. 731 vom 13.6.1951, durch den Bundesminister für Verkehr Bonn a. Rhein erteilt (125er)
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Allgemeine Betriebserlaubnis "Motorroller Goggo" Nr. 857 vom 28.3.1952, durch Kraftfahrtbundesamt erteilt (150er)
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Allgemeine Betriebserlaubnis "Motorroller Goggo 200" Nr. 1027 vom 10.2.1953, durch Kraftfahrtbundesamt erteilt (200er)
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Allgemeine Betriebserlaubnis "Kraftroller Goggo 200/2" Nr. 1310 vom 28.7.1954, durch Kraftfahrtbundesamt erteilt
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Allgemeine Betriebserlaubnis "Lasten-Roller-Goggo" Nr. 1221 vom 12.1.1954, durch Kraftfahrtbundesamt erteilt (Ausführung mit einem Scheinwerfer und zwei Begrenzungsleuchten, ohne Fahrtrichtungsanzeiger und Rückspiegel)
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